Chat-GPT: Gekommen, um zu bleiben

Durchschnittliche unemotionale Informationstexte und Argumentationen schreibt die KI schnell, sauber und mit erstaunlich geringer Fehlerquote. Welchen Grund sollte ein Schüler oder eine Schülerin haben, sich durch einen solchen Text selbst zu quälen, so lange am Ende nur das erwirtschaftete Ergebnis – die Note – zählt, um in der Rangordnung aufzusteigen?

In einer Veranstaltung fragte kürzlich eine Teilnehmerin: Werden durch die zunehmende Digitalität nicht Kulturtechniken verschwinden? Und müssen wir die Kinder und Jugendlichen nicht aus ihrer virtuellen Scheinwelt zurück ins richtige Leben holen?

Noch immer hält sich der Mythos hartnäckig, dass der analoge Teil unseres Lebens der einzig reale, der digitale ein virtueller, wenn nicht gar fiktiver ist. Ein Raum zum Abtauchen, Sich-Entziehen, keiner, in dem Alltag stattfindet. In diesem virtuellen Konstrukt gehen, so der Mythos, nicht nur die Kulturtechniken verloren, sondern auch die romantisierend damit verbundenen Tugenden: Schönheit, Fleiß, Gewissenhaftigkeit. Nun auch noch eine KI, die Hausaufgaben macht.

Irgendwann haben wir aufgehört, unser Leben zu reflektieren, indem wir Szenen daraus an Höhlenwände zeichnen. Dank digitaler Technologien bleiben die Spuren dieser Entwicklungsstufe aber noch hunderte von Jahren erhalten. Statt der unbeholfen anmutenden Zeichnungen projizieren wir dem geneigten Höhlenbesucher nun mittels ebenderselben digitalen AR-Technologie wahlweise den Aufbau der Gesteinsschichten, Szenen aus dem Leben früherer Höhlenbewohner oder etwas ganz anderes nicht nur an die Wände, sondern mitten in die Höhle hinein. Die ursprüngliche Höhlenmalerei als alte Kulturtechnik bleibt im kollektiven Gedächtnis. Keiner kommt jedoch auf die Idee, dass Schülerinnen und Schüler im Unterricht lernen müssen, wie man den eigenen Alltag auf diese Weise mental verarbeitet.

Welche Kulturtechniken verschwinden werden, weiß heute noch kein Mensch so genau. Fakt ist, dass neue dazukommen. Nicht, weil es möglich ist, verschiedene digitale Technologien zu nutzen, sondern weil sie da sind und unsere Kultur verändern. In so einer sich verändernden Kultur kann als mündiger Mensch nur souverän und selbstgesteuert leben, wer die Kulturtechniken beherrscht, die er dafür benötigt. Jetzt gerade gehören Lesen, Schreiben und Rechnen genauso dazu, wie das Beherrschen der englischen Sprache und die Kommunikation und Handlungsfähigkeit im analogen und im digitalen Raum.

Der aktuelle Hype um Chat-GPT 3 scheint ein Kipp-Punkt zu sein, an dem sichtbar wird, was wir seit 20 Jahren immer wieder von Bildungsforscher:innen zu hören bekommen: Die Pauke-Schule, in der statt des Lernens als Prozess immer nur das Ergebnis zählte, hat ausgedient. Es ist alternativlos geworden, individuelle Lernfortschritte sichtbar zu machen, die Auseinandersetzung mit Phänomenen und deren Auswirkungen auf komplexe Systeme in den Mittelpunkt zu rücken, Haltung, Werte und Emotionen dazu in Beziehung zu setzen. Durchschnittliche unemotionale Informationstexte und Argumentationen schreibt die KI schneller, sauberer und mit erstaunlich geringer Fehlerquote. Welchen Grund sollte ein Schüler oder eine Schülerin haben, sich durch einen solchen Text selbst zu quälen, so lange am Ende nur das erwirtschaftete Ergebnis – die Note – zählt, um in der Rangordnung aufzusteigen?

Bleiben wir bei unseren bisherigen Aufgabenformaten und der klassischen Orientierung am Ergebnis, ist die KI das Schreckgespenst jeglicher institutioneller Bildung. Die Texte, die sie schreibt, sind kaum verifizierbar und enthalten keine Quellenangaben, und will man mittels KI prüfen, ob ein Text von einem Menschen oder einer KI geschrieben wurde, vertut sie sich regelmäßig. Wir würden also massenhaft Schülerinnen und Schüler ungerecht behandeln, nun ja, oder deren Eltern, die regelmäßig die Schulaufgaben ihrer Kinder machen, um für jene die bestmögliche Note sicherzustellen. Denkt man die KI im Lernprozess aber mit, so wird sie einerseits zum Helfer von Lernenden und Lehrenden, andererseits aber auch selbst zum Lerngegenstand. Was ich selber ausprobiert habe – und ich stehe wie Sie am Anfang aller Experimente:

  • Eine Pressemitteilung schreiben lassen. Ich konnte sie fast unverändert übernehmen, was mir viel Zeit gespart hat.
  • Für die Prüfungsvorbereitung in Klasse 10 die Operatoren auflisten und erläutern lassen. Ich hätte sie auch scannen, abschreiben oder selbst formulieren können.
  • Rechtschreib- und Grammatikfehler aus Aufsätzen auflisten und nach Fehlergruppen ordnen lassen. Ich konnte mich auf die inhaltliche Korrektur und den Stil konzentrieren.
  • Mir ein Buch zum Thema „Portfolioarbeit“ empfehlen lassen. Das ging gründlich daneben. Die KI hat mir einen Buchtitel und eine Verfasserin ausgegeben, aber es gibt weder die Verfasserin, noch dieses Buch.
  • Aus einem Anfang für ein Märchen das Märchen zu Ende schreiben lassen. Das ging ein bisschen daneben. Das Ergebnis enthielt einige nette Inspirationen für SuS, die gerade keinen kreativen Moment haben, aber ein Märchen war das nicht, eher ein Sachtext. Jetzt könnten die SuS es besser machen, die fehlenden Merkmale von Märchen herausfinden und mit der inhaltlichen Hilfestellung ein richtiges Märchen schreiben.
  • Einen Vertrag zwischen Faust und Mephisto aufsetzen – einmal in Goethes Schreibstil und einmal als neuzeitliches Vertragsdokument. Das Ergebnis war sehr gut für die Weiterarbeit mit den SuS nutzbar, weil es wichtige Vertragsbestandteile enthielt, im Detail aber zu unkonkret war.

Nun sind es viele und vermutlich ganz neue Kompetenzen, die wir brauchen, um mit KI-generierten Texten in der Schule zu arbeiten. Philippe Wampfler entwickelt in seinem Blog gerade eine Reihe, die diese neuen Kompetenzen darstellt. Vermutlich ist das eine ziemliche Herausforderung. Nur werden wir vermutlich jetzt schon und künftig zunehmend mit Texten in Berührung kommen, die von künstlicher Intelligenz verfasst wurden. Wir werden es nur selten merken. Oder wir werden selbst KI-generierte Texte für unsere Arbeit nutzen. Um das angemessen und selbstbestimmt tun zu können, müssen wir beispielsweise merken, dass die KI weder werten noch richtig oder falsch unterscheiden kann. Wir müssen wissen, dass und auf welche Weise KI als lernendes System mit Daten versorgt wird, wie wir Informationen verifizieren, wie groß unsere Verantwortung als Nutzerinnen und Nutzer inzwischen ist, die wir eben auch mit der Verbreitung KI-generierter Texte übernehmen. Für mich als Christin stellt sich auch die Frage nach den Grenzen. Nach den ethischen Grenzen der Wissenschaft zum einen, nach der Abgrenzung des eigenen, gottgewollten Ichs mit seinen Fehlern, Ecken und Kanten, mit Emotionen und Kreativität, mit Hoffnungen und Erfahrungen von der auch mit meinen Erfahrungen gefütterten Durchschnitts-KI, die sicher mit der Zeit immer weniger Fehler macht, aber eben auch niemals so unverwechselbar sein wird, wie der einzelne Mensch als Geschöpf Gottes.

Einzelne Schulen und Universitäten haben Chat GPT 3 bereits verboten. Als kurzfristige Lösung, so lange beispielsweise urheberrechtliche Fragen noch nicht geklärt sind, ist das eine wichtige Reaktionsmöglichkeit. Sicherheitsexperten diskutieren sogar Verbote auf staatlicher Ebene, weil eben noch völlig unklar ist, welche Auswirkungen die massenhafte Möglichkeit, Texte per KI generieren zu lassen und zu verbreiten, einmal auf die nationale und internationale Sicherheit, auf Politik und Wirtschaft haben wird. Aber gerade deshalb gehört KI als Gegenstand des Experimentierens, Ausprobierens, Reflektierens und Meinung-Bildens in die Schule.

Die folgenden Lesetipps können Ihnen vielleicht ein wenig Orientierung geben.

Wenn Sie selbst einmal probieren möchten - hier kommen Sie zur Testversion von ChatGPT: https://chat.openai.com . Die Oberfläche ist Englisch, aber keine Sorge, die KI kann Deutsch. Sie müssen sich registrieren (nur E-Mail nötig, nehmen Sie wenn möglich eine Wegwerf-E-Mail-Adresse) und klicken Sie auf + New Chat. Die Anweisungen können Sie dann in Deutsch schreiben. Bitte beachten Sie, dass Sie mit Informationen experimentieren, die keine sensiblen Daten enthalten. Ihre Anfragen, die Ergebnisse der Software und natürlich Ihre Reaktion darauf wird für das weitere Training der AI genutzt.

Bei fobizz sind aktuell zwei Fortbildungen zu KI und Schule abrufbar, von denen eine on demand zur Verfügung steht, für die andere muss man sich anmelden. Beide werden online angeboten.

 

Bildquellen: Beide Bilder wurden von der KI OpenAi generiert: DALL·E 2 (openai.com)

B. Hofmann