Ein Gastbeitrag von Jens Palkowitsch-Kühl, Referent digitale Bildung, Religionspädagogisches Zentrum der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Heilsbronn
Das erste Schuljahr ist vorüber, in dem Schülerinnen und Schüler Zugriff – ob schulisch intendiert oder auch selbstgesteuert – auf Künstliche Intelligenzsysteme hatten. Eine Umfrage unter 14-20-jährigen im März 2024 ergab, dass 74 Prozent der Befragten KI bereits privat und in Schule nutzen; auch ohne organisierte Einführung dieser Technologie.[1] Allem voran muss der Gamechanger ChatGPT von OpenAI hierbei adressiert werden, welches als Generative KI in Form seines Chatsystems als Katalysator für die Verbreitung derartiger KI-Systeme sorgte.
Noch nie war es so einfach für Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben zu machen, denn generative KI erstellt die gewünschten Inhalte in Sekundenschnelle, egal ob Thesenpapier, Gedichtinterpretation oder Argumentationen. Dabei bleibt es nicht ausschließlich bei sprachbasierten KI-Systemen (LLMs), die Material erstellen, sondern ebenso einfach lassen sich Kunstwerke etwa mit DALL·E 3, Musikstücke mit Suno AI und ganze Präsentationen mit dem Microsoft Copilot in PowerPoint in Sekundenschnelle erstellen.
KI erfordert eine neue Lernkultur und neue Lernformen
Die angebrachten Beispiele zeigen exemplarisch auf, dass mit dem Einzug der gegenwärtigen KI-Technologien sich die Schullandschaft verändern wird. Künstliche Intelligenz wird dabei als Assistenz auftreten, welche Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehr-, Verwaltungs- und Führungskräften zur Seite steht. Mit ihr können Arbeitsprozesse vereinfacht (z.B. Stundenplanerstellung) und individuelle Lernpfade für Schülerinnen und Schüler entwickelt werden. Sie kann bei der Bewertung von Lernfortschritten unterstützen und Lerninhalte wie auch Lernformen in Echtzeit auf die Bedürfnisse der Lernenden anpassen.
Eltern kann durch virtuelle Assistenten eine rund um die Uhr Sekretariat angeboten werden, welches Fragen beantwortet und Unterstützung z.B. bei Formularen anbietet.
Strategische Entscheidungen sind jetzt notwendig
Für Entscheidungsträger an Schulen bedeutet dies vor der Entscheidung zu stehen, entweder die Augen vor diesen zu machen. Veränderungen zu verschließen oder die Veränderungen mitzugestalten. Zugegeben: De facto gibt es hier keine wirkliche Entscheidungsfreiheit. Wir müssen die Welle reiten, bevor Sie uns überrollt. Denn: Die Technologie schreitet so schnell voran, dass sie uns überrollt. Das gilt nicht nur für den Bereich Schule, sondern in allen Bereichen unseres Lebens. Die Weichen müssen in Richtung KI-Kompetenz gestellt werden. Da Kompetenz im Bereich von KI zugleich Teilhabe an den gesellschaftlichen Prozessen bedeutet. Diejenigen, die sich nicht mit diesen neuen Technologien auseinandersetzen, werden zunehmend von anderen abgehängt werden: in Bildungsarrangements, in der Berufstätigkeit und in der gesellschaftlichen Teilhabe. KI strategisch in Schule einzubinden, bedeutet daher auch, die Schülerinnen und Schüler fit für die Zukunft zu machen.
Schulen benötigen insgesamt gesehen zunächst eine KI-Strategie, die von einem Team entwickelt wird und die unterschiedlichsten Anwendungsfälle der dort Beschäftigten identifiziert. Folgende Fragen sind hilfreich bei der Bearbeitung dieser Strategie:
- Zielsetzung des Einsatzes von KI
- Anwendungsfälle (sog. Use-Cases)
- Risiken (z. B. ethische Bewertung)
- Einführungsplanung
Die Freiheit eines (Christen)Menschen
Böhme, Fischer und Mesenhöller (2023)[2] skizzieren im Schulkontext zwei wesentliche Facetten hinsichtlich Lehrender und Lernender. Zum einen beziehen sie sich auf die Entscheidungsfreiheit, sodass Lehrkräfte autonom entscheiden können sollten, wann und wie sie ein KI-System didaktisch im Fachunterricht einbinden. Zum anderen benennen sie die nutzungsbezogene Entscheidungsfreiheit der Lernende, sodass die Zustimmung notwendig ist. Auch eine Aufklärung über mögliche Nachteile einer Nicht-Nutzung (z. B. kein individuelles Feedback) sollte Raum gegeben werden.
Insgesamt sollte der Fokus nicht ausschließlich auf dem Einsatz von Technologien liegen, sondern darauf, wie diese Technologien die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler im jeweiligen Fachkontext erweitern können. Es gilt, die pädagogischen Ziele und den Lernfortschritt stets in den Vordergrund zu stellen und Technologien als unterstützende Werkzeuge zu nutzen, die individuelle Lernprozesse fördern und bereichern. Gerade bei KI ist es wichtig, stets zu reflektieren, wer die Kontrolle über das Lernsetting behält: der bzw. die Pädagog*in oder die Software?
Diesen Referenten erleben Sie am 22.11.2024 im Seminar “KI in der Schulverwaltung" in der Dreikönigskirche Dresden.
Quellennachweis:
[1] www.vodafone-stiftung.de/jugendstudie-kuenstliche-intelligenz/ und Vodafone Stiftung (2023): Pioniere des Wandels: Wie Schüler:innen KI im Unterricht nutzen möchten, online unter: https://www.vodafone-stiftung.de/wp-content/uploads/2024/03/Pioniere-des-Wandels-wie-Schueler-innen-KI-im-Unterricht-nutzen-wollen-Jugendstudie-der-VS-2024.pdf
[2] Vgl. Schleiss, Johannes /Mah, Dana-Kristin (2023): Szenario 3: Künstliche Intelligenz als Unterstützungstool im Schulkontext, in: Schleiss et al. (Hrsg.): Künstliche Intelligenz in der Bildung. Drei Zukunftsszenarien und fünf Handlungsfelder, 12-16, hier: 15.