Digital spielen – Motor oder Bremse kindlicher Entwicklung?

Eine tiefgehende Analyse unserer Schulentwicklungsreferentinnen Birgit Hofmann und Brit Reimann-Bernhardt

Das Thema Computerspiele polarisiert die Erwachsenenwelt: In der Lernforschung ist der Wert digitaler Spiele für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen kaum strittig (z.B. hier). Während man hier hauptsächlich darüber diskutiert, welche Arten von Spielen welche Kompetenzen erweitern können, sind Eltern und Lehrer*innen eher skeptisch. Sie fürchten das Suchtpotenzial der Spiele, sinkende Hemmschwellen bezüglich Gewaltanwendung bei Konflikten und soziale Vereinsamung.

Auf welchen Geräten wird gespielt?

Der Begriff „digitale Spiele“ umfasst alle Spiele, für die man einen Bildschirm braucht, also die man am Smartphone, am Computer oder an der Konsole spielt. Dabei ist es egal, ob das Spiel auf dem Gerät installiert ist oder auf einer Internetplattform liegt.

Und was spielen Kinder?

Digitale Spiele nehmen im Leben vieler Kinder eine wichtige Rolle ein. Nach Angaben der KIM-Studie aus dem Jahr 2018 spielen etwa zwei Drittel der 6- bis 13-Jährigen regelmäßig digitale Spiele. Von den Jungen spielt sogar ein Viertel täglich (Quelle: hier).

Zu den beliebtesten Spielen bei den Kindern zählen „FIFA“ mit 13 Prozent sowie „Minecraft“ und „Die Sims“ mit je 9 Prozent. Bei „FIFA“ handelt es sich um eine Fußball-Simulation, die den Spielern am Bildschirm die Chance gibt, sich als Fußballtrainer oder -star zu beweisen. „Minecraft“ dagegen ist – zumindest im Kreativ-Modus – am ehesten mit einem gigantischen Lego-Baukasten zu vergleichen, in dem der User Schöpfer seiner eigenen realistischen oder fantastischen Welt ist. Im Überlebensmodus verteidigt er diese gegen die verschiedensten Gegner und erobert neue Territorien. Schon vor Jahren wurde dieses Spiel auch für den Unterricht entdeckt: Es gibt Szenarien für fast alle Fächer, von Mathe bis Politik. Gleiches gilt für „Die Sims“. Diese Gesellschaftssimulation, die erstmalig im Jahr 2000 erschien, gilt als das meistverkaufte Spiel weltweit. Ähnlich den Rollenspielen in der Kindheit heutiger Erwachsener – nur mit zunehmender Spieldauer deutlich komplexer – vollziehen die Spieler Beziehungen, Konflikte, Entwicklungen des Alltags und darüber hinaus nach. Sie trainieren ihr Handeln in vielen unterschiedlichen Situationen. Schon das Erschaffen eines Avatars – also einer künstlich erschaffenen Figur am Anfang des Spiels – ist für die Kinder eine Reise zu sich selbst, auf der sie sich intensiv mit der Frage auseinandersetzen, wer sie sind und wer sie gern wären.

Mit digitalen Spielen lernen

Spielen ist eine Form des Denkens und Lernens. Bei klassischen, „analogen“ Spielen ist das unstrittig. Das gilt aber genauso für digitale Spiele. Deshalb können Lehrkräfte sie auch in schulische Lernprozesse integrieren. Die Kinder können beim Spielen stets verschiedene Handlungswege ausprobieren, ohne ein Risiko im realen Leben eingehen zu müssen – egal, ob analog oder digital. Anschließend können sie ihr Handeln reflektieren. Außerdem kommen Kinder beim Spielen womöglich mit Situationen in Berührung, denen sie in der Realität niemals begegnet wären. So erweitern sie ihren Erfahrungshorizont. Ist das Spieldesign ansprechend, sind Kinder motivierter, auch schwierige Aufgaben zu lösen. So haben sie die Möglichkeit, ihre Problemlösekompetenz zu verbessern. Sie spielen und lernen im eigenen Tempo und wiederholen die ihnen gestellten Aufgaben so oft wie nötig. Dies erhält die Motivation, die übrigens immer dann am höchsten ist, wenn ein Spieler Aufgaben lösen soll, die ihn permanent leicht überfordern. Ein zu leichtes Spiel wird schnell langweilig, doch wenn es zu schwer ist, gibt man irgendwann auf. Wenn der Spieler jedoch wiederholt eine Aufgabe beginnt, einige Male scheitert und das Ziel letztlich doch erreicht, dann hat er nicht nur seine Kompetenzen im konkreten Spiel erweitert, sondern die wertvolle Erfahrung dazugewonnen, dass Beharrlichkeit sich lohnt. Und diese kommt ihm auch in anderen Lebensbereichen zugute. Der Transfer kann mithilfe von Feedbackmethoden erfolgen, die solche impliziten, also wenig offensichtlichen Lernprozesse explizieren, sie also für alle Beteiligten sichtbar und bewusst machen. Mit konkreten Methoden beschäftigt sich der nächste Newsletter.

In den Unterricht werden bisher meist Quiz- oder Ratespiele integriert. Lehrkräfte nutzen sie, um vorhandenes Wissen aufzufrischen und zu erweitern. Diese reinen Abfragespiele haben allerdings ihre Grenzen, da sie wenig Raum für die eigene Entdeckerlust lassen. Andere Spiele – etwa das bereits erwähnte „Minecraft“ oder „Die Sims“ – bieten hier ganz andere Möglichkeiten, ebenso die „Erkundungstour“ der Spielreihe „Assassin’s Creed Origins“. Darin haben Spieler die Möglichkeit, das alte Ägypten allein oder auf einer Führung in ihrem eigenen Tempo und ohne Zeitdruck zu erkunden.

Um die Begeisterung und Faszination der Kinder für das digitale Spielen verstehen zu können, kann es Eltern und Lehrern helfen, sich sogenannte „Let’s-Play“-Videos anzuschauen. Hierbei filmen sich Gamer beim Spielen, kommentieren ihre Aktionen und stellen die Videos dann bei YouTube online. Eine andere Möglichkeit ist, dass sie während des Spiels über Plattformen wie „Twitch“ direkt live streamen. Beim Anschauen von Let’s Plays oder Streams erfährt man, worum es im Spiel geht, und kann sich den ein oder anderen Trick erfahrener Spieler abschauen. Bei Kindern sind Let’s Plays überaus beliebt. Dies liegt zum einen eben an diesen Tricks, zum anderen gehen Menschen ja auch gern in ein Stadion und schauen anderen zum Beispiel beim Fußballspielen zu. Das Empfinden ist ähnlich: Es ist einfach spannend, „Profis“ zu beobachten.

Genauso sollten Erwachsene den Kindern durchaus einmal beim Spielen zuschauen, sich das Spiel erklären lassen oder sogar mitspielen. Auf diese Weise zeigen sie, dass sie unvoreingenommen sind, sich für die Aktivitäten der Kinder interessieren und ihnen im Notfall zur Seite stehen.

Kinder- und Jugendmedienschutz

Trotz entsprechender Altersfreigaben ist nicht jedes Spiel ist für jedes Kind geeignet, ebenso wenig wie jeder Film. Kritisch wird es vor allem dann, wenn gewalthaltige oder beängstigende Inhalte vorkommen. Um Kinder und Jugendliche davor zu schützen und bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen, gibt es den Kinder- und Jugendmedienschutz. Als „gefährdend“ werden Spiele und Filme vor allem dann eingestuft, wenn sie die Entwicklung und die Erziehung von Kindern und Jugendlichen zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten negativ beeinflussen können.

Rechtlich gesehen gilt in Deutschland das Jugendschutzgesetz. Darin ist unter anderem der Umgang mit Trägermedien wie CDs oder DVDs festgelegt. Der Jugendmedienschutz-Staatsvertrag der Länder reguliert Spiele-Apps und Browser-Games. Eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht sieht er jedoch nicht vor.

Anders sieht das bei den oben genannten Trägermedien aus: Die „Unterhaltungssoftware-Selbstkontrolle“ (USK) überprüft sie vor Veröffentlichung und versieht sie mit einer Altersfreigabe. Damit ein Spiel ohne Altersfreigabe auf den Markt kommen kann, muss es bestimmte Kriterien erfüllen. Es darf zum Beispiel keine bedenklichen Gewaltdarstellungen oder beängstigenden Szenarien enthalten. Diese Kennzeichnung sagt jedoch nichts darüber aus, ob ein Kind überhaupt in der Lage ist, das Spiel zu spielen oder ob der Inhalt einen erwünschten Lerneffekt bringt. Spiele mit der Altersfreigabe „USK 12“ sind schon häufig kampfbetont, müssen jedoch unrealistisch wirken, zum Beispiel durch eine Darstellung im Comic-Stil. Bedrohungs- und Konfliktsituationen dürfen in Spielen ab 12 Jahren schon auftreten, jedoch nicht durchgehend. Weitere Alterskennzeichen sind „USK 16“ und „USK 18“.

Trotz dieser Alterskennzeichnungen spielt etwa ein Drittel der Kinder Spiele, für die sie noch zu jung sind. Dieses Phänomen tritt bei Jungen stärker auf als bei Mädchen und nimmt mit dem Alter der Kinder zu. Beispielsweise trifft dies bei den 12- bis 13-Jährigen etwa auf die Hälfte der Jugendlichen zu.

Ein einheitliches Prüfsystem wie die USK gibt es bei Spiele-Apps nicht. Die Bewertung erfolgt hier auf freiwilliger Basis durch die Anbieter selbst. Hinzu kommt, dass Google und Apple unterschiedliche Systeme zur Bewertung nutzen. Ein und dasselbe Spiel kann also im Google Playstore eine ganz andere Altersempfehlung haben als im App Store von Apple. Außerdem erfolgt die Angabe nur auf Basis der Spielinhalte. Andere möglicherweise problematische Funktionen, wie In-App-Käufe oder frei zugängliche Chats, bleiben bei der Bewertung außen vor.

Digitale Spiele als Antrieb oder Bremse kindlicher Entwicklung?

Fragt man Erwachsene, wie sich digitale Spiele auf die Entwicklung von Kindern auswirken, haben viele eher negative Assoziationen. Digitale Spiele können aber in der Tat in vielerlei Hinsicht auch einen positiven Einfluss haben. Einige wurden oben schon erwähnt. Digitale Spiele können aber auch dazu beitragen, sensomotorische Fähigkeiten und die Hand-Augen-Koordination zu verbessern. Dieser Effekt findet sich am ehesten bei Strategie-, Denk-, Simulations- und Managerspielen. Weiterhin können digitale Spiele – wie alle Spiele – die sozialen Fähigkeiten von Kindern fördern, etwa Teamfähigkeit und Fairness, aber auch Konzentration und Kreativität. In der Spielwelt schärfen die Kinder ihr kommunikatives Können, ihre Problemlösungskompetenz und häufig auch ihre Wertvorstellungen – je nach Spiel und dessen Inhalt. Einige Spiele tragen auch zur Verbesserung kognitiver und intellektueller Fähigkeiten bei. So können komplexe Spielwelten das räumliche, analytische und strategische Denken steigern.

Das betrifft auch Taktik, Geschicklichkeit, Einfallsreichtum, die Fähigkeit zur Improvisation, Geduld sowie die Kompetenz zur Stressbewältigung. Im Allgemeinen treten besonders dann positive Effekte ein, wenn Kinder ihre Spielerlebnisse auf die Realität übertragen und sich dadurch ihr Selbstbewusstsein mithilfe ihres virtuellen Charakters steigert. Nicht zu unterschätzen sind auch die Auswirkungen von Anerkennung, Stolz und Freude, die Kinder beim Spielen erleben können. In den Spieler-Communitys sprechen die Gamer übrigens überwiegend Englisch – eine starke Motivation, an den eigenen Fähigkeiten diesbezüglich zu arbeiten.

Spiel-Gefahren und wie man sie verhindern kann

Gefahren für Kinder können – wie in vielen alltäglichen Situationen – auch in der digitalen Spielwelt auftreten.

Sie schützen die Kinder davor am besten, indem Sie mit den Schüler*innen an deren Selbstwahrnehmung arbeiten und mit ihnen über die Gefahren digitaler Spiele, aber auch über Erlebnisse, Gefühle und Wahrnehmungen während des Spielens sprechen.

Einige – unvollständige – Beispiele: Cybermobbing ist eine Gefahr, der man – nicht nur, aber auch – in Multiplayer-Spielen begegnen kann. Spieler nutzen ihre Anonymität aus, um andere bei der Lösung der Spielaufgaben zu behindern oder sie im Chat zu beschimpfen. Treten derartige Verhaltensweisen auf, können die Betroffenen die entsprechenden Spieler blockieren und beim Spiel-Administrator melden. Diese Gefahr, aber auch die Abwehrmöglichkeiten, müssen Kinder nicht nur kennen, sondern sie sollten auch die Gelegenheit bekommen, sozialkonformes Verhalten einzuüben und sich gegen Regelverstöße anderer zur Wehr zu setzen. Dazu müssen Sie nicht unbedingt Computerspiele im Unterricht spielen; das funktioniert auch mit gewöhnlichen Methoden des Peer-Feedbacks.

Eine weitere Gefahrenquelle sind Webcams und Mikrofone der Spiel-Geräte, da sie das Ziel von Hackerangriffen werden können. Daher sollten die Geräte regelmäßig auf Schadsoftware überprüft werden. Außerdem sollten die User ihre Webcam standardmäßig deaktivieren und nur bei Gebrauch einschalten. Ganz analog kann man sie auch einfach abkleben. Auch dieses Thema lässt sich in der aktuellen Situation ganz nebenbei thematisieren, wenn Distanzlernen beispielsweise bei Videokonferenzen eingeübt wird.

Vor allem, wenn Erwachsene Kinder mit Spielen allein lassen, besteht die Gefahr versteckter Gebühren durch In-App-Käufe. Viele Online-Spiele und Spiele-Apps sind zwar kostenlos, doch um bestimmte Boni oder Zugang zu besonderen Bereichen zu erhalten, ist echtes Geld gefragt. Um diesen versteckten Gebühren einen Riegel vorzuschieben, sollten User bei Online-Spielen keine Kreditkartendaten angeben. Bei Apps auf mobilen Endgeräten können sie die sogenannten „In-App-Updates“ vorsorglich deaktivieren. Auch dieses Thema gehört automatisch in den Unterricht: Wenn Apps in Lernprozessen verwendet werden, ist es wichtig, dass die Kinder diese nicht einfach nur unreflektiert nutzen, sondern von Anfang an die Nutzungsbedingungen zur Kenntnis nehmen und je nach Altersgruppe auch verstehen. Die im schulischen Kontext gewonnenen Erkenntnisse können auf Situationen außerhalb des Schul-Unterrichts transferiert werden.

Spielsucht: ein kurzer Überblick

Viele sorgen sich gerade jetzt, dass Kinder süchtig nach der digitalen Spielwelt werden oder schon sind. Schaut man in die KIM- und die JIM-Studie (www.mpfs.de), wird klar, dass diese Sorgen begründet sind. Die Bildschirmzeiten der Kinder und Jugendlichen sind erheblich gestiegen – und das hängt ganz sicher nicht nur mit dem höheren Anteil an digital organisierten Lernprozessen zusammen. Dennoch: eine Diagnose ist nicht Sache der Lehrerinnen und Lehrer. Wer bei Schüler*innen Anzeichen bemerkt, kann und sollte sich an die Eltern wenden. Für die Diagnose sind dann Psychologen zuständig.

Problematisch wird es, wenn sich das Sozialleben verändert und wenn schulische Leistungen und das Gesundheitsverhalten sich verschlechtern.

Seit über zehn Jahren wird eine exzessive Computer- und vor allem Internetnutzung beobachtet, für die der Begriff der Online- beziehungsweise Mediensucht, aber auch der pathologischen Internetnutzung verwendet wird. Während die Mediensucht auch andere Medien erfasst, steht bei der Onlinesucht die Nutzung des Internets im Vordergrund. Einen besonders breiten Raum nimmt dabei die Online-Computerspielsucht ein, das heißt, die Abhängigkeit von im Internet angebotenen und dort gespielten Onlinespielen. Diese Spiele haben durch verschiedene, immanente Faktoren (wie beispielsweise Belohnungssysteme und Einbindung in ein soziales Spielernetzwerk) ein hohes Suchtpotential (Bundesgesundheitsministerium). Die Betroffenen haben zum Beispiel ihren Umgang mit Internet und Computerspielen nicht mehr unter Kontrolle, sie beschäftigen sich gedanklich übermäßig stark damit, fühlen sich unruhig oder gereizt, wenn sie diese Angebote nicht nutzen können oder sie vernachlässigen andere wichtige Lebensaufgaben wegen des Computerspielens oder der Internetnutzung. Während für den Bereich des Computerspielens weitgehende Einigkeit darüber besteht, dass es deutliche Parallelen zu einem Suchtverhalten gibt, ist derzeit noch nicht geklärt, ob weitere internetbezogene Verhaltensweisen – hierbei ist insbesondere die exzessive Nutzung sozialer Netzwerke zu nennen – ebenfalls den Verhaltenssüchten zuzuordnen sind.

Ein wichtiger Schritt zur Klärung der Frage, wann eine Computerspielnutzung mit Krankheitswert vorliegt, erfolgte 2013 durch die Expertengruppe für die fünfte Revision des „Diagnostischen und Statistischen Manuals Psychischer Störungen“ (DSM-5) der American Psychiatric Association (APA). Da Belege zu Störungen mit Krankheitswert vor allem im Bereich der pathologischen Computerspielnutzung vorliegen, wurde die Forschungsdiagnose auf diese begrenzt und als Internet Gaming Disorder bezeichnet.

In der ICD 11 wird nun zum ersten Mal Online Spielsucht als eigenständiges Krankheitsbild eingetragen bzw. anerkannt und gegen alle Kritik verteidigt.

Spielsucht (6C50) wird damit erstmals als eigene Diagnose unter Impulskontrollstörungen gelistet. Der Katalog differenziert zwischen einer Online- (6C50.0), einer Offline- (6C50.1) sowie einer nicht näher bestimmten Spielsucht (6C50.2). Im Vordergrund stehen der Kontrollverlust sowie eine zunehmende Fokussierung auf das Spielen, das andere Interessen verdrängt. Hinzu kommen eine Intensivierung trotz negativer Konsequenzen und eine erhebliche Beeinträchtigung des sozialen Funktionsniveaus. Die Spielsucht kann episodisch oder kontinuierlich auftreten. Was heißt das konkret?

Menschen ignorieren negative Konsequenzen, diese werden einfach egal. Problematisch ist das vor allem in der Pubertät, wo Risikoverhalten generell ein Thema ist, Konsequenzen noch schwer eingeschätzt werden können, langfristige Belohnungssysteme schwer auszuhalten und Impulskontrolle schwierig sind. Spiele, die kurzfristige Belohnungen versprechen, triggern dann dieses Verhalten an und verhindern auf lange Sicht u.U. intrinsische Motivation.

Es ist gar nicht so einfach, einzuschätzen, ob der persönliche Umgang mit Computerspielen problematisch oder gar pathologisch, also krankhaft, ist. Deshalb haben Experten des Deutschen Zentrums für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) einen Fragebogen für eine „Gamingsucht“ entwickelt. Dieser Fragebogen basiert auf den aktuellen Kriterien für „Gamingsucht“ und dient der Erfassung eines ersten Anhaltspunktes für eine problematische oder krankhafte Nutzung. Der Fragebogen ersetzt jedoch keine fachliche Diagnose. Er kann hier abgerufen werden. Diese und ähnliche Fragen können auch im Unterrichts- und/oder persönlichem Gespräch gestellt werden. Einige Beispiele, die die persönliche Reflexion der Schüler*innen zu Fragen ihrer eigenen persönlichen physischen und psychischen Gesundheit anregen:

Habe ich mein Spielverhalten unter Kontrolle?

Was passiert, wenn ich abschalte? Habe ich dann Freude und Freunde? Bin ich einsam? Habe ich Langeweile – was mache ich damit? Welche Interessen habe ich? Was unternehme ich mit Freunden und Familie (je nach Alter)?

Gehöre ich noch zum Klassenverband oder ist mir mein Umfeld gleichgültig geworden?

Anregungen:

Spielverhalten im Unterricht thematisieren

Bevor Gespräche mit den Schüler*innen auch wirklich über die moralisierende Ebene hinaus Substanz bekommen können, ist es wichtig, sich zunächst selbst über die Spiele zu informieren, die in der Klasse gerade gespielt werden. Let’s-Play-Videos anzuschauen ist hilfreich, will man die Spiele nicht alle selbst ausprobieren. Und dann könnte man…

mit den Schülern über Spielerfahrungen reden. Das kann bspw. im Rahmen von Projekten zur Medienerziehung geschehen oder in Deutsch (Gefühle beschreiben, Vorgangsbeschreibung, Diskussion, kreatives Schreiben, z.B. Fotostory…) Wichtig ist es, zuerst zuzuhören und digitales Spielen nicht pauschal zu verurteilen.

Kindern Gelegenheit geben, Spielerfahrungen mitzuteilen und zu verarbeiten.

Pro-/Kontra-Listen mit den Kindern erstellen: Was ist gut, was ist schlecht an digitalen Spielen?

Spiele vorstellen lassen, vorher gemeinsam Kriterien festlegen.

Stresssignale, Angst, Sucht… in Verbindung mit dem Spielen, aber auch mit anderen Alltagssituationen bearbeiten. Das ist vor allem ein Thema für die Grundschule. Ziel sollte es sein, dass die Kinder für sich Strategien für den Umgang mit solchen Situationen entwickeln und einschätzen können, wie viel für sie wirklich zu viel ist.

Vorsicht mit dem „Reiz des Verbotenen“! Technische Barrieren können immer umgangen werden, besser sind gemeinsam ausgehandelte Vereinbarungen zu Spielzeit/Bildschirmzeit usw. Bei Suchtanzeichen sind Gespräche mit dem Kind, dann mit Eltern nötig. Eine Diagnose sollte in jedem Fall Fachleuten überlassen werden.

Digitale Spielprinzipien für Lernprozesse nutzen

Mittlerweile gibt es dazu zahlreiche Fortbildungen und Materialien, die über die klassischen Quizze weit hinausgehen. Zwei Beispiele sind hier verlinkt, es werden aber auch regelmäßig Veranstaltungen durch das Landesjugendpfarramt, die evangelische Akademie und die Evangelische Hochschule Sachsen durchgeführt. Einige Anregungen:

Helden aus digitalen Spielen/Gamer beim Thema „Vorbilder und Idole“ näher untersuchen.

Aufgreifen im Religionsunterricht ab Klasse 9: Viele Spiele stellen Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach Gott, nach Recht und Gerechtigkeit.

Quizze und Schnitzeljagden, bei denen die Fragen von den Schüler*innen selbst produziert werden, machen Lernfortschritte sichtbar und stellen eine kreative Form des Umgangs mit dem Gelernten dar. Quizze, die von der Lehrkraft produziert werden, sollten jedoch nur sehr überlegt eingesetzt werden. Sie führen aufgrund der spielimmanenten Zeitbegrenzung meist dazu, dass die Antworten angeklickt werden, ohne nachzudenken. Ihr Wert für den Lernprozess ist also sehr begrenzt.

Es gibt Gesellschaftssimulationen, die speziell für den Unterricht entwickelt wurden. Da sich das Angebot hier ständig ändert, wird auf direkte Verlinkung verzichtet. Mit den entsprechenden Suchbegriffen kommen Sie aber zu zahlreichen Beispielen.

Spiele wie Minecraft im Build-Modus eignen sich für viele Simulationen; entsprechend gibt es bereits viel Material für den Unterricht fast aller Fächer. Auch an dieser Stelle wird auf eine Linkliste verzichtet, einen Überblick finden Sie hier.

Digitale Spielprinzipien kreativ nutzen

Spiele sind als Kulturgut schon lange anerkannt. Sogar die Kanzlerin hat sich dazu geäußert. Somit können sie auch zum Gegenstand des Lernens und für eigene kreative Arbeiten werden. Computerspiele haben ihre ganz eigene Ästhetik, die viel stärker die Interaktion mit dem Spielenden aufnimmt und integriert. Die Stories sind offen und regen zum Weiterdenken an und die Musik längst mehr als Untermalung der Handlung. Auch zu diesem Thema einige Anregungen:

Spiele programmieren zu lassen (Grundschule, Info-Unterricht) hilft dabei, ein Verständnis von Algorithmen zu entwickeln. Neben visuellen Programmen wie Scratch sind besonders Einplatinengeräte wie der Calliope attraktiv.

Spiele in Musik, Kunst oder Deutsch analysieren. Dieser Blickwinkel lohnt sich durchaus und versachlicht die Diskussion über digitales Spielen.

Jump’n’Run-Spiele im Sportunterricht als Parcours erstellen lassen. Dabei werden digitale Spielprinzipien in die analoge Welt überführt. Ideen und Projekte finden Sie auf der Website von Creative Gaming. Dabei ist Kreativität nur eine Seite. Die entstehenden Spiele müssen einer Spiellogik folgen und mit den vorhandenen Fähigkeiten, Mitteln und Materialien. Die Kinder lernen also auch, Algorithmen zu verstehen und zielorientiert zu denken und zu handeln – und schließlich bewegen sie sich natürlich auch. Einfaches Beispiel: Snake vgl. Pac Man auf dem Schulhof. Die Profilklasse „Smart Gaming“ entwickelt eigene Streetgames – Creative Gaming (creative-gaming.eu)

Digitales Storytelling in nichtlinearen Geschichten, nutzbar nicht nur in Deutsch, sondern auch in Religion, Ethik, Gemeinschaftskunde – oder in Physik, wenn beschrieben werden soll, was bei unterschiedlichen Versuchsbedingungen alles passieren kann. Twine / An open-source tool for telling interactive, nonlinear stories (twinery.org)

Weitere Anregungen speziell für die Grundschule finden Sie im Medienuniversum, einem Projekt des Medienzentrums Greifswald gemeinsam mit der Techniker Krankenkasse. Die Nutzung des Materials ist kostenlos, eine Registrierung mit dem Namen der Schule erforderlich.

Lange Rede, kurzer Sinn:

Spiele, auch digitale, sind manchmal gefährlich. Um die Gefahren im konkreten Einzelfall zu beurteilen, gibt es Psychologinnen und Psychologen. Aufgabe der Schule ist nicht die Diagnose, aber das Wahrnehmen von Auffälligkeiten, damit die Psycholog*innen überhaupt aktiv werden können. Darüber hinaus sind Spiele aber auch spannend und vielfältig, und vor allem haben sie großes Potenzial für schülerzentrierte, fröhliche Lernprozesse. Und sie bieten Anlässe für Unterrichtsgespräche, die den Blick der Schülerinnen und Schüler auf sich selbst, ihr eigenes Wohlbefinden, auf Körper und Seele lenken und darauf, achtsam damit und mit anderen umzugehen.