Zitat: „Die Schulen stehen gegenwärtig vor gewaltigen Herausforderungen, deren Bewältigung große Veränderungsprozesse sowohl im System Schule als auch in den Unterrichtsprozessen erfordern. Auch die evangelischen Schulen in Sachsen müssen und wollen sich diesen Herausforderungen stellen. Deshalb werden künftig noch stärker Themen der Personal-, Unterrichts- und Organisationsentwicklung die Kernaufgaben der Schulentwicklung an den evangelischen Schulen Sachsens bilden müssen. (...) Wir sehen momentan ein Zeitfenster geöffnet, das die Chance bietet, einen Diskussionsprozesses in Gang zu setzen, an dessen Ende die Entwicklung einer gemeinsamen Vision von Evangelischer Schule im (21. Jahrhundert?) stehen kann.“
Jemand muss den Anfang machen. Immer.
Diese im März 2023 von der AG Schulentwicklung verfassten Worte haben bewegt. Und zwar in einem Ausmaß, das vor einem Jahr so niemand für möglich gehalten hat. Die Schulversammlung am 19. September 2024 hat die Gelegenheit geboten, alle Interessierten über ein Jahr „Zukunftsprozess“ zu informieren und damit den Schlusspunkt – vielmehr: An.Schluss.Punkt zu einem einjährigen Projekt zu setzen, das ab kommendem Herbst in die Verstetigung gehen soll und wird und den einige Menschen, die Leadership bewiesen haben, angestoßen – in Bewegung gebracht haben. Und die damit vielen weiteren Menschen den Raum geöffnet haben, ihrerseits Leadership zu wagen und zu entwickeln.
Rückblende ins Jahr 2021 – Corona-Krise.
Im Jahr 2021 hat sich die AG Schulentwicklung als Zusammenschluss mehrerer engagierter Schulleiterinnen und Schulleiter gefunden und begonnen, von- und miteinander insbesondere durch wechselweise Schulbesuche und themenzentrierte Diskussionen zu lernen: Corona-bedingt zuerst in losem, ab 2023 dann in monatlichem Rhythmus. In diesem Jahr 2023 – siehe oben – reifte auch der Entschluss, einen Impuls für alle evangelischen Schulen in Sachsen setzen zu wollen.
Das war der Moment, in dem ich ins Spiel kam und angefragt wurde, den Start dieses Zukunftsprozesses im Rahmen der Schulversammlung 2023 konzeptionell und moderativ zu unterstützen. Eine Aufgabe, die ich mit größter Freude annahm und die ich in diesem Text –aus meiner Perspektive – Revue passieren und mit einem dreifachen Fokus würdigen möchte.
Zur Einordnung und Orientierung an dieser Stelle ein paar Worte zu mir persönlich und zu meiner Perspektive: Seit mehr als 25 Jahren arbeite ich – von der Pike auf – in Schulentwicklungsprozessen, die in der Regel mit dem einen oder anderen Digitalisierungsaspekt verbunden sind. Im Laufe der Jahre lernte ich, welchen Wert die Zusammenarbeit in innovativen Netzwerken hat, und was dazugehört, diese erfolgreich, nachhaltig, geduldig und mit langem Atem gewissermaßen vor den Karren der Entwicklung guter Schule zu spannen. Und – wenn möglich – zu institutionalisieren.
Making of von Denkschrift, Meilenstein-Manifest und der Collage „Zukunftsschule“
Die inhaltlichen Ergebnisse des Zukunftsprozesses sind in der Denkschrift und dem Meilenstein-Manifest nachzulesen; und inspiriert durch die hinter diesen Dokumenten liegenden Entwicklungen wurde die Collage „Zukunftsschule“ entwickelt. Die Texte und die Collage stehen für sich und ihre Lektüre bzw. Betrachtung möchte ich allen wärmstens ans Herz legen.
Ich möchte an dieser Stelle noch drei Aspekte zum Projekt beisteuern, die aus meiner Sicht relevant sind und die Projektdokumentation in gewisser Weise komplettieren.
- Erstens möchte ich eine kurze Chronik des Zukunftsprozesses nachzeichnen.
- Zweitens ein paar Hinweise zur Collage der Grafikerin (und Lehrerin) Frauke Krüger-Lehn geben, die mit ihrer Illustration zentralen Aspekten des Zukunftsprozesses künstlerischen Ausdruck verliehen hat.
- Drittens einige aus meiner Sicht wesentliche Aspekte des Projekts im Sinne von Gelingensbedingungen unterstreichen.
Erstens. Zur Chronologie des Zukunftsprozesses
Die Idee, die Schulversammlung von einem Tag auf zwei zu verlängern und in ihrem Rahmen in Form eines Barcamps neue Formen der Ideenfindung und des Diskurses zu erproben, entstand im Laufe des Jahres 2023. Damit verbunden war immer auch die Gewissheit, dass es sich um ein Experiment mit Wagnischarakter und letztlich nicht genau vorhersagbarem Ergebnis handelt. Und zwar insbesondere deshalb, weil jegliches Gelingen und die exakte Richtung, in die das Gelingende weisen könnte, vom Willen und den Ideen der Beteiligten abhängen würde. Kein Wille zur Beteiligung: kein Prozess. Dieses Risiko muss man nehmen, wenn man dem Neuen eine Chance geben will.
Also gewagt, getan: Über mehrere Monate hinweg wurde die Schulversammlung und ihr ungemein ermutigender, ja begeisternder Gottesdienst im Oktober 2023 vorbereitet. Meine Aufgabe bei der Schulversammlung war die Moderation der Konzeption und dann der Veranstaltung selbst.
Und siehe (und ich muss gestehen: mit diesen „Wundern“ habe ich zu rechnen gelernt in den Jahrzehnten meiner Tätigkeit): Es haben sich mehr als zehn Themengeber:innen gefunden, die sich vors Plenum gestellt haben und mit den jeweils Interessierten in eine ausführliche Diskussion eingestiegen sind.
Mit diesem Erfolg im Rücken konnte der nächste Schritt gewagt werden: Die AG Schulentwicklung entschloss sich im späten Herbst 2023, bei der Schulstiftung ein Projekt zur Unterstützung des Zukunftsprozesses einzureichen. Sie – die AG – würde auch zur Verfügung stehen, laufend als Steuergruppe und insbesondere in der Moderation der Austauschforen, die sich rund um die bei der Schulversammlung identifizierten Themen bildeten, Verantwortung zu übernehmen bzw. die Austauschforen zu begleiten.
Leadership der Ersten öffnet Raum für Leadership der Nächsten
Im Anschluss an die notwendigen Vorbereitungsarbeiten des Projekts wurde für den 2.2.2024 zum Kickoff eingeladen. Und auch hier muss – wiederum – festgestellt werden: Es hätte ja auch sein können, dass die thematisch Interessierten über Weihnachten ihr Interesse verloren hatten. Aber so war es nicht. Mehr als 50 Personen versammelten sich und brachten gemeinsam den Prozess ins Laufen. Genauer: Einige der im Herbst aufgeworfenen Themen hatten sich in relativ kurzer Zeit „erledigen“ lassen; acht Themen waren geblieben, und rund um diese konstituierten sich sieben Austauschformen (zwei Themengruppen fusionierten) und starteten in die inhaltliche Arbeit – und zwar im Rahmen von Präsenztreffen sowie von diversen digitalen Formaten (zB Videokonferenzen oder dem DLLP und dessen Forum-Software Discourse) unterstützt.
Zukunft entsteht, wenn man sich gemeinsam davon eine Vorstellung macht
Darüber hinaus entwickelte die Steuergruppe noch eine weitere Idee, die einfach erprobt werden wollte: die Durchführung sogenannter Zukunftswerkstätten. Unter dem Motto: „Zukunft entsteht, wenn man sich gemeinsam davon eine Vorstellung macht“ dienten diese Zukunftswerkstätten dazu, an drei Nachmittagen in Chemnitz, Annaberg-Buchholz sowie Dresden in vorbereiteten und moderierten Gesprächsrunden mit Lehrenden, Eltern, Schülerinnen und Schülern aus jeweils mehreren evangelischen Schulen den Austausch aller Beteiligten zu folgenden Fragen zu führen:
- Was muss Schule in Zukunft anders machen, weil es so nicht länger genügt bzw. überflüssig geworden ist? Was möchten wir zurücklassen bzw. was kann man einfach weglassen?
- Was erwartet uns und die Schülerinnen und Schüler voraussichtlich in Zukunft an Fragen, Herausforderungen, und Realitäten, denen wir gewachsen sein müssen?
- Welche Zukunft wünschen wir uns, ja sehnen wir herbei? Und was liegt an uns, dass diese Zukunft Wirklichkeit wird?
- Was möchten wir aus unserer Geschichte mitnehmen, weil es gut und wichtig war und wir weiterhin daraus lernen wollen?
Insgesamt waren mehr als 150 Personen an diesen Zukunftswerkstätten – mit sehr positiver – Resonanz beteiligt. In Abbildung 1 finden Sie den Zukunftsprozess im Überblick – oben die Austauschforen; unten die Termine der gemeinsamen Treffen sowie der Zukunftswerkstätten (Status der Timeline: Anfang September).
Um Ostern herum begann sich abzuzeichnen, wie die einzelnen Teile des Zukunftsprozesses aussehen und zusammen zu wirken beginnen. Und aus der kontinuierlichen Arbeit der Austauschforen sowie den Ergebnissen der Zukunftswerkstätten kristallisierte sich all das heraus, was in der Denkschrift und dem Zukunftsmanifest in Worte gefasst worden ist.
Wobei das nur, wenn man so möchte, die Oberfläche eines ungemein vielfältigen Netzes an Erkenntnissen, Ideen und ganz konkreten Aktivitäten bildet, das sich zwischen Schulen und Einzelpersonen zu entwickeln begonnen hatte; in dem Moment, wo man den Raum öffnet und Gelegenheiten ermöglicht, werden diese zu 1001 Ideen, Aktivitäten und Vorhaben genützt ...
Nachhaltigkeit findet statt – und: DANKE!
So richtig und eindrucksvoll deutlich wurde das, was sich hier zu entwickeln begonnen hatte, am 21. August in Dresden anlässlich des Meilensteintreffens, in dessen Rahmen zum ersten Mal seit dem Kickoff im Februar alle (und: ja, es kamen wiederum alle – und noch ein paar Personen mehr!) von ihren Aktivitäten berichteten und ihren Blick auf den Prozess beisteuerten.
Schlusspunkt und, wie schon weiter oben gesagt, gleichzeitig An.Schluss.Punkt des Projekts war die Schulversammlung im September 2024, die einerseits alles Bisherige zusammenfasste und gleichzeitig die Schritte in die weiteren zukunftsförderlichen Aktivitäten hinein konkretisiert hat. Ich komme weiter unten nochmals genau darauf zurück. Und kann an der Stelle nur versuchen, meiner Dankbarkeit für alles Entstandene und Gelernte, für alle Erfahrungen und Erkenntnisse und für all die aufgebrachte Zeit jeder und jedem einzelnen der Beteiligten Ausdruck verleihen.
Zweitens. Bitte bleiben Sie stehen und nehmen Sie sich Zeit – hier gibt es viel zu sehen!
In der Konzeptionsphase des Zukunftsprozesses war auch die Idee entstanden, dem, was da jetzt anlaufen würde, einen bildlichen Ausdruck zu verleihen. Mehrere Optionen wurden erwogen und letztlich Frauke Krüger-Lehn – Künstlerin und Lehrerin – beauftragt. Mit ihr verbindet mich bereits ein gemeinsames Projekt evangelischer (gemeinsam mit katholischen) Schulen in Baden-Württemberg, bei dem auch eine gemeinsame Ideen ins Bild gebracht wurde: Szenen des Gelingens von Schule wurden hier zu einem Impulsbild inszeniert.
Im Falle des Zukunftsprozesses in Sachsen gab ein anderer Gedanke den Anstoß: nämlich Schule als „kontinuierliche“ Baustelle, die sich gleichsam durch Zeit und Geschichte bewegt. Am „hinteren“ Ende wird laufend etwas demontiert und abgerissen, weil nicht mehr zeitgemäß; am „vorderen“ Ende kommt ständig etwas dazu. Und zwischendrin muss auch mal das eine oder andere adaptiert werden. Dieser Gedanke nimmt auch die Grenzen der Schule mit auf: Es ist nicht möglich (und auch nicht sinnvoll), alles Überkommene zu bewahren und immer noch eins obendrauf zu setzen. Das führt zu kompletter Überlastung aller zeitlichen, finanziellen und nervlichen Ressourcen. Da die Alternative aber – siehe die vier Fragen weiter oben – nicht im Versteinern und Verharren liegen kann (also in der Verweigerung sämtlicher Veränderungen, um sich nicht zu überlasten), bleibt nur das Folgende:
- Hinten“ abbauen (bzw. „verlernen“)
- „Vorne“ dazubauen (bzw. Neues inkludieren und „erlernen“)
- Und insgesamt die Ressourcen (und die Erwartungshaltung und die Vorstellung) so bereitstellen bzw. adaptieren, dass diese kontinuierlichen Arbeiten auch stattfinden können und Raum und Zeit dafür da ist.
Vom Bauplatz:Schule zur Werkstatt:Schule
An dieser Stelle des Denkens angekommen war die Metapher „Bauplatz:Schule“ rasch entwickelt und – eingedenk der Tatsache, dass Baustellen und der von ihnen verursachte Staub von vielen als „unlustig“ konnotiert ist – auch schon wieder überholt und in „Werkstatt:Schule“ weiterentwickelt.
Mit diesem Briefing ging ich also ins Gespräch mit der Künstlerin und in mehreren Schleifen
entstand die folgende Collage in Abbildung 2.
Ein paar Hinweise zur Bildgestaltung und -betrachtung:
- Schule bewegt sich.
- Sie inkludiert Altes und Neues – und es wird kontinuierlich adaptiert.
- Sie „schwimmt“ im Meer des Weltwissens und öffnet sich dafür.
- Sie ist lokal und universell gleichzeitig.
- Christliche Schule ist Kirche bzw. in christlicher Schule öffnet sich Kirche.
- Sie ist sich ihrer humanistischen, klassischen, „aufklärererischen“ und christlichen Werte bewusst.
- Sie „hat“ etwas von der Arche Noah – und der Regenbogen als Zeichen des Noahbundes unterstreicht die inklusive Verpflichtung für alle Menschen
Was entdecken Sie? Was sehen Sie noch?
Drittens. Schulentwicklung ...
Schulentwicklung ist ein vielschichtiger, äußerst komplexer Prozess. Denn Schule ist stabil, kritische Gesellschaftsstruktur, staatstragend und resilient – und muss es sein, will sie nicht, von allem und jedem aus der Bahn geworfen werden. Stabilität hat aber auch ihren Preis. Einfach heute so – morgen so: Das geht nicht.
Die großen Linien, Strukturen und Konstituenten von Schulsystemen reichen in der Regel 200 Jahre zurück (und sind – obwohl für viele unsichtbar – sehr wirksam). Manches davon ist sehr gut und verlässlich – anderes (mit der Zeit mehr und mehr) reformbedürftig. Ein Feigenblatt hier, eine neue Färbelung da ist rasch angebracht. Aber schulkulturelle Wirksamkeit verlangt einen längeren Atem. Und die großen Rahmenbedingungen ändert man ohnehin nur alle heiligen Zeiten. Wenn’s gut geht, dann auch zum Besten des Gemeinwohls und der Menschen. (Es gibt auch gegenteilige Beispiele, lehrt die Vergangenheit ...)
... sucht Werkstatt ...
Aber! Keine große Schulreform ohne die vielen, vielen kleinen, erprobenden, entwickelnden Schritte im Vorfeld und im Nachgang und jederzeit. Und die vielen, vielen kleinen, erprobenden, entwickelnden Schritte im Alltag (und insbesondere die Menschen, die diese anregen, denken, gehen) eint eine Erfahrung: Es kommt nicht darauf an, welchen ersten Schritt man tut. Es kommt darauf an, überhaupt in Bewegung zu kommen. Und an den ersten den zweiten; und an den zweiten den dritten, und den fünfundzwanzigsten ... und den zweihundertvierunddreißigsten Schritt zu setzen. Kurz: Es kommt darauf an, in Bewegung zu kommen und in Bewegung zu bleiben!
... braucht Bewegung
Für diese kontinuierliche, nachhaltige Bewegung braucht es „nur“ drei Faktoren: Leadership, Know-how und (wenige, aber verlässliche) Ressourcen.
- Leadership: Im vorliegenden Fall war es die AG-Schulentwicklung im Verein mit der Schulstiftung ... im Verein mit allen, die beim Barcamp mutig die Gelegenheit ergriffen haben ... gemeinsam mit allen, die die Austauschforen gehalten und moderiert haben ... zusammen mit denjenigen, die im Rahmen der Zukunftswerkstätten ihre Meinung zum Ausdruck gebracht haben ...
- Know-how: Schulentwicklung ist (wie heißt es so schön?) keine Raketenwissenschaft. Schulentwicklung ist „slow tech“ – und alles Wissen, das dafür vorhanden ist, ist längst da. Allerdings nicht immer schon dort, wo es gebraucht wird. Daher braucht es immer auch Leute (wie zB mich), die diese Erfahrungen einbringen können und wollen und sie – gemeinsam mit allen Beteiligten – neu erschließen, bündeln und auf den jeweiligen „Fall“ transferieren.
- Ressourcen: Vision ohne Ressourcen ist Halluzination. Aber mit ein wenig – und dem stetig! – geht immer etwas. Vor allem mit ein wenig verlässlich geplanter Zeit.
Ich wünsche dem Zukunftsprozess in Sachsen alles Beste! Bleiben Sie in Bewegung! Gemeinsam!
Weiterführende Informationen: