Digitalisierung braucht Herzensbildung

Online-Diskussionsreihe offenbart Lehren aus dem Homeschooling

Die zehnteilige Gesprächsreihe „Was.Schule.bewegt“ ist vorbei. Eine erste Bilanz: Digitalisierung ist nicht Kerninhalt der Schule, sondern ihr Mittel. Was es mehr braucht, sind Herzensbildung und Beziehungsarbeit – im Homeschooling, aber auch nach der Pandemie.

Seit Pandemiebeginn steht das Thema Schule immer wieder im Zentrum der Debatte. Dabei ist vor allem eins klar geworden: Corona macht wie unter einem Brennglas die Defizite sichtbar, die es in den Schulen schon vorher gab – und die sich jetzt in der Krise zuspitzen. Herausforderungen in der Digitalisierungspraxis, überlastetes Lehrpersonal, vernachlässigte emotionale und politische Bildung – was vorher schon schwierig war, wird in Zeiten von Schulschließungen und Homeschooling zum brennenden Problem. Und ausgerechnet jetzt gibt es in Zeiten geschlossener Lehrerzimmer und abgesagter Kongresse keinen Ort mehr, an denen die Akteure zusammenkommen können, um allgemeine Probleme zu diskutieren.

Die Veranstaltungsreihe „Was.Schule.bewegt“ der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) will das ändern. In Kooperation mit der Schulstiftung der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens schafft die SLpB für diese Fragen und Debatten einen Raum, in dem schulische und außerschulische Akteur*innen zusammenkommen. Seit Ende Januar werden jeden Donnerstag um 16 Uhr für anderthalb Stunden lang Probleme und Ideen rundum das Thema Schule diskutiert, moderiert von SLpB-Referentin Heike Nothnagel, gemeinsam mit Referentinnen der Schulstiftung und Veranstaltungsassistentin Marie-Theres Ueberlein.

Was bewegt mich, was kann ich bewegen?

Der Moderation ist in der Reihe vor allem wichtig, nicht nur in der reinen Problembeschreibung stehen zu bleiben, auch wenn die Lage dazu verlockt. Vielmehr ist Ziel der Veranstaltungsreihe, Lösungen zu finden und sich zu vernetzen. Der Bedarf danach ist groß, wie die Nachfrage nach den ersten fünf von insgesamt zehn Veranstaltungen zeigte: Sie alle waren wegen großer Nachfrage innerhalb kurzer Zeit ausgebucht. Nach der ersten Sitzung zu 25 Teilnehmenden hat die SLpB die Kapazität deshalb erweitert – um die 40 Teilnehmenden nahmen an der zweiten Sitzung teil.

Damit trotz der Gruppengröße noch ein sinnvoller Austausch möglich bleibt, werden die Gruppen nach unterschiedlichen Methoden aufgeteilt – mal durch Fishbowl-Diskussionen, mal durch Breakout-Sessions, also durch Kleingruppen innerhalb der Zoomkonferenz, in denen sich die unterschiedlichen Konstellationen an Bildungsakteur*innen zusammenfinden können. Der Titel „Was.Schule.bewegt“ ist dabei Programm im doppelten Sinne, er fragt: Was bewegt mich? Aber auch: Was kann ich bewegen?

Wegen des hohen Gesprächsbedarfs wurde dem Thema Digitalisierung genau wie dem Thema Antisemitismus zwei Sitzungen gewidmet. Keine Sekunde zu viel, wie sich herausstellte: angeregt kamen außerschulische Akteur*innen mit schulischen ins Gespräch. Schulleiter*innen von Grund-, Mittel und Berufsschulen, Schulsozialarbeiter*innen, Bildungsreferent*innen, Workshopleiter*innen, Gründer*innen außerschulischer Initiativen brachten ihre Expertise und Erfahrungen ein. Viele waren dabei in der Doppelrolle, gleichzeitig noch Kinder zu haben und so auch die Elternsicht zu kennen auf das, was läuft – und das, was so gar nicht klappt.

„Wir müssen über die Bedeutung von Beziehungsarbeit reden“

Besonders hat die Teilnehmenden in den beiden Digitalisierungssitzungen vom 21. und 28. Januar bewegt, wie man die Kinder dazu motiviert, im Homeschooling weiter am Lernstoff dranzubleiben und nicht aufzugeben. Soll man sie zusätzlich anrufen? Mails schreiben? Sind sie davon genervt oder schafft das mehr Bindung? Gemeinsam in den Schultag zu starten und ihn zu beenden sei gut angenommen worden, berichtet eine Teilnehmerin. „Morgens etwas zusammen zu singen oder vorzulesen schafft engmaschigen Kontakt, manche Kinder nehmen mittlerweile sogar etwas auf und spielen es in der morgendlichen Begrüßungskonferenz vor.“

Der Vorschlag wird erfreut in der Runde aufgenommen. Denn viele hier haben Sorge, dass der persönliche Kontakt zu den Schüler*innen verloren geht. Lehrende berichten von einem dauerhaften Gefühl des Unbefriedigtseins – wie geht man damit um, dass man digital nicht schafft, alles zu kompensieren? Welche weitere Ungleichheit wird durch das virtuelle Klassenzimmer erzeugt? Oft fehlt etwa Stabilität in der Internetverbindung, wenn die Schüler*innen etwas ländlicher wohnen. Manche fahren dann doch bei den Kindern vorbei, werfen die Aufgaben in den Briefkasten und versuchen, über kurze Gespräche am Gartenzaun zu motivieren.

Die Beziehungsarbeit ist in diesen Zeiten wichtiger denn je. Die emotionale Bindung entscheidet oftmals mit darüber, welche Schüler*innen im Laufe des Schuljahres wegbrechen. „Wir müssen über Wert und Bedeutung von Beziehungsarbeit reden, in Zeiten von häuslicher Lernzeit und Schule auf Distanz ist das wichtiger geworden“, appelliert ein Schulleiter an die Runde. „Das hat dringenden Fortsetzungsbedarf nach der Pandemiesituation.“ Wenn rein kognitiver Stoff und eine frontale Art des Unterrichtens einfach beibehalten würden, stiegen viele Kinder aus, mahnt eine Teilnehmerin. „Alte Schule einfach digitalisiert zu denken, funktioniert nicht.“

Dabei sei gerade jetzt die Chance hoch, die Kinder über Projekte für den Stoff zu begeistern, macht eine Lehrerin den Teilnehmenden Hoffnung: Oft sind halbe Klassen in Präsenz, genau jetzt könnten diejenigen, die nicht in der Schule sind, Projektarbeiten umsetzen. Außerschulische Bildungsakteur*innen könnten dabei mit ihren Angeboten die Lehrenden entlasten, sie haben Formate, mit denen sie gut unterstützen können, erzählen sie der Runde.

„Digital kann man nicht schweißen lernen“

 „Am besten sollten Projektangebote so gebrauchsfertig wie möglich angeboten werden“, empfiehlt eine Lehrerin, „sodass man einfach loslegen kann.“ Im Zoom-Chat werden schon die ersten Kontakte ausgetauscht, das Angebot wird dankbar aufgenommen – die Vernetzung läuft an.

Besonders in Ausbildungen fehlt im Digitalschuljahr schlicht die Praxis. „In praktischen Ausbildungen bringt es nichts, was übers Schweißen zu lesen“, sagt eine Berufsschullehrerin, „die brauchen die praktische Erfahrung! Digital kann man nicht schweißen lernen.“ Die digitale Lehre, das ist allen hier klar, kann nur eine vorübergehende Lösung in Pandemiezeiten sein, sie wird die Präsenzlehre nicht ersetzen.

Und selbst dort, wo es gute digitale Möglichkeiten gibt, bleibe das Problem, dass viele Lehrende mit dem teuren Equipment, das ihre Schule angeschafft hat, nicht sinnvoll umgehen können – eine Erfahrung, die hier viele teilen.

Doch am Ende bleibt von der Runde der Ausblick: Digitalisierung und Medienkompetenz sind nicht Kern einer konstruktiven Schulentwicklung, sondern Mittel zum Zweck. Kernaufgabe der Schule sei vielmehr, selbstständig denken und arbeiten zu lernen – auch, um Krisen wie die Pandemie gut zu überstehen. „Kinder müssen lernen, mit Krisen umzugehen, nicht nur mit Corona, auch mit der Klimakrise. Der Schlüssel ist dabei, kreativ und lösungsorientiert zu denken. Wenn wir nur auf der kognitiven Ebene reden, kriegen wir weder Kinder noch Eltern mit.“ Es brauche einen Paradigmenwechsel in der Ausrichtung von Schule, „Digitalisierung kann da ein super Diener sein.“