Sachsen stärker gegen Antisemitismus machen

Online-Diskussionsreihe der Landeszentrale für politische Bildung vertiefte den Austausch

Die erste zehnteilige Gesprächsreihe „Was.Schule.bewegt“ hat einige Ergebnisse hervorgebracht. In Kooperation mit der Schulstiftung schaffte die Sächsische Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) für Fragen und Debatten einen Raum, in dem schulische und außerschulische Akteur*innen zusammenkommen. Thema war unter anderem auch Antisemitismus, der gerade in Sachsen nicht aus den Augen geraten darf.

„Antisemitismus ist keine Frage des Bildungsstandes“

Nicht zuletzt durch Popkultur und digitale Medien sei „Du Jude“ längst zum populären Schimpfwort auf den Schulhöfen geworden. Ein Teilnehmer, der beruflich Workshops zu Verschwörungsmythen an Schulen gibt, berichtet, wie hoch das Wissen schon bei den Schüler*innen der 9. Klasse über antisemitisch konnotierte Verschwörungsmythen sei.

„Oft werden die Stereotype schon in der Familie geprägt“, sagt eine Teilnehmerin, „aber auch über Youtube oder über Rap.“ Viele in der Runde ernten im Schulbetrieb als Reaktion auf das Thema Shoah ein kollektives Stöhnen und sich immer wiederholende Sätze: „Schuld am Holocaust waren meine Großeltern, nicht ich, warum muss ich mich damit beschäftigen?“, hieße es dann. In der Runde verspüren viele eine große Ohnmacht angesichts dieser Reaktionen, insbesondere, weil die Abwehr nicht allein von der Schüler*innenseite, sondern oftmals ebenso von den Eltern und den Lehrenden komme – bis hin zur Schulleitung.

Gleiches gelte für antisemitische Aussagen, berichten einige. „Antisemitismus ist keine Frage des Alters oder des Bildungsstandes“ – darauf können sich die Seminarteilnehmenden schnell einigen. „Wenn das Thema der Schulleitung egal ist oder sie nicht hinter einem steht, kann man sich schnell die Zähne ausbeißen“, sagt eine, die Workshops anbietet für genau diese Fälle. Auch hier werden schnell wieder Kontakte und Links getauscht, Angebote vorgestellt. Oft fehlt das Wissen, an wen man sich wenden soll – auch dafür sind die Zoomrunden ein Forum, um sich zu vernetzen und Angebote kennen zu lernen, die sonst die Schule nicht erreichen.

„Schulen sind viel zu oft kein Ort der Empathie“

Wie soll man das Thema Antisemitismus in den Klassen- und Lehrerzimmern also nun angehen? „Vielleicht das kollektive Stöhnen als Gesprächsanlass nehmen – warum stöhnt ihr, was steckt dahinter?“, ist ein Vorschlag. Viele hier haben auch gute Erfahrungen mit Zeitzeugenberichten gemacht. „Die Berichte zu hören und die Wahrnehmungen real zu machen, statt sie auf die Großelterngeneration zu schieben, das hat sehr gut funktioniert“, berichtet eine. Sie empfiehlt Fahrten in Gedenkstätten mit guten Konzepten und durchdachter Vorbereitung durchzuführen.

In der Runde wollen viele ihre Schüler*innen auch dafür sensibilisieren, Jüdinnen und Juden nicht allein in der historischen Opferperspektive kennen zu lernen, sondern Berührungspunkte mit dem alltäglichen jüdischen Leben zu schaffen. Dass es etwa in Chemnitz eine Synagoge gibt, habe die jungen Leute in seinem Workshop überrascht, erzählt ein Teilnehmer. Auch Klassenfahrten nach Israel werden diskutiert. Bildungsträger wie das Ariowitsch-Haus in Leipzig stellen ihre Programme vor, was auf großes Interesse stößt. Auch Vertreter*innen des SMK und des LASUB beteiligen sich an den Diskussionen und verweisen auf konkrete Angebote und Materialien im Themenbereich Politische Bildung in Schule und Unterricht. Die Bereitschaft für unterschiedliche Herangehensweisen ist in der Runde so hoch wie die Angebote breit. Viele wünschen sich einen ganzheitlichen Ansatz, der über den reinen Geschichtsunterricht hinausgeht.

Ein Teilnehmer weist in dem Zusammenhang auch darauf hin, dass Antisemitismus nicht einfach eine Verhaltensform sei, sondern als Massenphänomen eine kollektive Haltung hervorgebracht hat, die den Nationalsozialismus erst hervorbringen konnte, und der immer noch tief in der Gesellschaft steckt. Er zitiert den Soziologen Samuel Salzborn, der sagt, Antisemitismus sei die „Unfähigkeit, abstrakt zu denken und konkret zu fühlen“. Insbesondere letzteres lerne man viel zu selten in der Schule, sagt ein Schulsozialarbeiter in der Runde: „Schulen sind viel zu oft kein Ort der Empathie.“

„Das Schulsystem ist stärker als individuelles Engagement“

Die Reaktionen in der Runde sind bestürzt, aber zustimmend. Eine ehemalige Schulleiterin berichtet von einer Gedenkstunde, die ihre Schule nach dem antisemitischen Rohrbombenanschlag in Düsseldorf 2000 gehalten hat. „Schule darf nicht nur kognitiv bilden, sie muss auch Herzensbildung geben. Wer bei so einem Ereignis sagt, seine Mathe- oder Deutschstunde sei jetzt wichtiger, erzieht auch zur Beliebigkeit.“ Gleichzeitig liege das Problem im Schulsystem, das stärker sei als einzelne, politisch engagiert Lehrende. „Die Ursache von Diskriminierung ist eine Betonung von Ungleichwertigkeit, und wir haben leider ein Schulsystem, das auf Ungleichwertigkeit ausgerichtet ist“, sagt sie. Ihr Verweis auf die internationale Kampagne „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ (BNE) wird von den Moderatorinnen ins Programm aufgenommen und am 4. März an einem eigenen Thementag besprochen, unter dem Titel: „BNE – Ist das wichtig oder kann das weg?“

Für weiterführende Informationen zur Dialogreihe wenden Sie ich gern an: heike.nothnagelwhatever@slpb.smk.sachsen.de